Ostfildern 2025, 3 Uhr nachts. Klaus G*. aus Kemnat fährt mit dem Regio-Bike Richtung Nellingen. Seit einiger Zeit ist er wieder Mitglied bei der Bücherei. Er holt ausschließlich Bücher aus der Bücherei in Nellingen. Er selbst arbeitet in der IT-Branche, bei einem großen Unternehmen. Fortschritt ist die Grundlage seines Lebens. Es fängt an zu regnen. Doch das macht ihm nichts aus. Er ist gut ausgerüstet. Textilien, Wind und Wasserabweisend. Sein Smartphone in der Tasche ist wasserdicht. Die Smartwatch, die wird sowieso ausgetauscht. Nächste Woche wird das neueste Modell präsentiert. Er will einer der Ersten sein, der diese Smartwatch besitzt. Fortschritt, ja fortschritt gibt es auch in Ostfildern. Die Bücherei in Nellingen ist ein Meilenstein in der Geschichte dieser, unserer Stadt. Er hätte auch tagsüber das Buch abgeben können. Ja, er hätte das Buch gar nicht ausleihen müssen. Er hat es schon längst auf seinem Reader, digital. Doch Fortschritt ist, alles zu digitalisieren was geht. 

Es ist 3.45 Uhr als er am Bücher-Rückgabeautomaten ankommt. Es ist dunkel. Das Licht des Automaten hat etwas Mysteriöses. Etwas Besonderes. Einen kurzen Augenblick dachte er, er habe das Buch vor lauter Aufregung vergessen. Nein, er hat es dabei. Er legt es in den Automaten. Das Buch verschwindet im Dunklen. Er hört noch ein hohles Ploppen. Es war vollbracht. Das Buch wurde erfolgreich und mit modernster Technologie vereinnahmt.

Einige Jahre zuvor: 2021. Es ist Dezember. Gemeinderatssitzung in Ostfildern Nellingen. Die Freien Wähler brachten einen Antrag in den Haushalt, der nochmals über den Bücher-Rückgabeautomaten handelte. Im Gemeinderat wurde entschieden, dass wir einen Bücher-Rückgabeautomaten für die Bücherei im Kubino anschaffen wollen. Dieser kostet einmalig ca. 75.000 Euro und hat jährliche Wartungs- und Instandsetzungskosten. Diese können variieren, sollten aber 3000 Euro pro Jahr nicht übersteigen.

Über die Anschaffung sollte nochmals entschieden werden. Als Begründung wurde der prekäre Haushalt aufgeführt. Laut Aussage der Verwaltung, wird diese zum Ende der Amtszeit unseres Oberbürgermeisters Christof Bolay, einen Schuldenstand in Höhe von 30 bis 50 Millionen Euro erreichen. Grund genug, manche  Ausgaben nochmals zu prüfen. 

Wir Freien Demokraten waren gegen die Anschaffung. Der Grund ist auf der einen Seite, der prekäre Haushalt und auf der anderen Seite die vorgeschobenen Argumente wie z.B. das fortschrittliche Handeln und die sogenannte Digitalisierung unserer Bücherei. Es sei ein guter Schritt in die Digitalisierung.

Eine Digitalisierung nur um der Digitalisierung willen, ist eine sinnlose Digitalisierung.

Nur einfach etwas zu digitalisieren ist – sorry – nonsens. Liebe verantwortlichen der Verwaltung. Bitte nicht falsch verstehen. Natürlich soll es auch euch entlasten. Entlasten in der täglichen Arbeit. Entlasten von wiederkehrenden Tätigkeiten. Doch der Wunsch eines Bücher-Rückgabeautomaten hat dann Sinn, wenn wir auch wieder mehr Menschen zur Nutzung einer Bücherei bewegen. Wer heute Bücher lesen möchte, hat es oft einfach leichter. Digitale Anbieter – auch kostenfreie – werden immer besser und umfangreicher.

Echter Fortschritt wäre, wenn wir den Zugang zur Bücherei für alle vereinfachen. Die Reservierung oder Buchung 24/7 funktioniert. So etwas macht man heute über Webseiten oder Apps. Es sollte einfacher sein, Bücher auszuleihen. Natürlich sollte auch die Rückgabe einfacher sein. Der Bearbeitungsvorgang in allen unseren Büchereien sollten automatisiert oder vereinfacht werden. Mitarbeiter sollten wir von monotoner Arbeit befreien oder erleichtern.

Doch damit beginnt man am Anfang: Mehr Menschen sollten für das Lesen und Lernen begeistert werden. Das echte Buch sollte wieder Spaß machen. Nicht nur Bücher-Fans und Leseratten sollten dafür begeistert werden. Nein, auch Fans digitaler Medien sollten von der Bücherei profitieren. Was kann der Bücher-Rückgabeautomat – für 75,000 Euro? Nur zwei Punkte. Die Rückgabe und der Rückgabe-Prozess einer Bücherei vereinfachen.

Doch Einwohner aus Kemnat, Ruit, Scharnhausen, Scharnhauser Park oder Parksiedlung müssen, für diesen Service nach Nellingen fahren und können auch nur dort ausleihen. Andere Büchereien sind nicht angeschlossen. Warum informieren wir uns nicht umfangreich, was für Möglichkeiten es gäbe? Denn wir könnten hier etwas mit Sinn schaffen, das allen etwas bringt. Es gibt Büchereien in Deutschland, die die Rückgabe per Postwurf zulassen. Also überall in Deutschland kannst du das Buch zurückgeben. Nutzer könnten vor dem Urlaub, das Buch ausleihen, lesen und nach dem Urlaub, oder sogar noch wären dem Urlaub in ganz Deutschland zurückgeben. Wäre das nicht wirklich fortschrittlich?

Wir könnten auch mehrere Büchereien verbinden und in einem System führen. Gleichzeitig auch Bücher und Medien zwischen Büchereien rotieren lassen und das Ergebnis wäre eine viel größere Auswahl für die Nutzer. Auch digitale Medien könnten wir heute verleihen. Hardware gebunden oder per App. Das gibt es heute. 75.000 Euro für einen Automaten, der heute schon veraltet ist, stehen hierzu in keinem Verhältnis.

Wo wird der Automat denn bisher genutzt? Beispiel Berlin. Zurückgeben kann man alle Medien, die in einer Berliner Bibliothek entliehen worden sind. Für die Ausleihen aus den Bibliotheken des Bezirks ist die Rückgabe kostenlos. Bei Medien aus anderen Bezirken wird eine Gebühr erhoben.

Was in Berlin vielleicht Sinn ergibt. Da sind auch größere und mehrere Büchereien vorhanden. Berlin hat auch ein paar Einwohner mehr als Ostfildern – Noch 😉 Und essenziell: Der Haushalt ist ein anderer.

28.603.201.200 € Berlin vs. 116.000.000 € Ostfildern

Als technische Lösung für den Rückgabe-Prozess in einer Bibliothek, gibt es zudem schon Scanner und Software, die den Mitarbeitern die Arbeit leichter macht. Genau das ist in vielen anderen Städten in Deutschland schon Standard. Wenn wir diesen Aufwand nicht betreiben wollen oder können, dann gibt es sicher viele Projekte, bei denen die 75.000 Euro und bis zu 3000 Euro pro Jahr besser aufgehoben wären! Im sozialen oder auch beim Klima- und Umweltschutz gibt es viele Aufgaben in den nächsten Jahren. 

Nun haben wir nochmals darüber entschieden. 

12 zu 12 Stimmen. Der Automat kommt.

Klaus G.* wird es zu schätzen wissen. 

Ammerkung: 
*Klaus G. ist Fiktion. Der Automat und die Gemeinderatssitzung, sowie die aufgeführten Begründungen sind real. 

Politik & News gibt es auch als Podcast. 


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